Letra Hotel Zur Langen Dämmerung

verse 1
An tausend Meilen hast du heut schon hinter dich gebracht.
Es ist spät, du suchst und findest eine Bleibe für die Nacht.
Von alldem, was du schon geseh'n und nicht begriffen hast,
bist du todmüde, sehnst dich nur nach einer langen Rast.
Dies Hotel, die trübe Funzel in dem engen Korridor
kommen dir, als du dich umsiehst, schon nicht ganz geheuer vor.
Und dann weißt du es genau, als du die Zimmertür aufschließt,
dass du vor langer Zeit schon einmal hier gewesen bist.
Schlaf' nicht ein im Hotel zur langen Dämmerung, bleib wach,
denn der Atem toter Seelen staut sich unter diesem Dach
und frisst sich, wenn du schläfst, so tief in Hirn und Lungen fest,
dass du dieses Haus nur sterbend oder tot wieder verlässt.
verse 2
Und du sitzt und wachst und wartest, doch die Zeit will nicht vergeh'n.
Und dir ist, als könntest du auf einmal durch die Wände seh'n.
Siehst ein Zimmer, so wie deins, und ein Junge kommt herein.
Große Füße, große Augen, von zu Hause durchgebrannt,
Haar und Hosen viel zu kurz, wie es noch brauch ist auf dem Land,
alles liebend ohne Furcht, was neu und fremd ist um ihn her.
Und du fragst dich, ob du je so jung gewesen bist wie der.
Schlaf' nicht ein im Hotel zur langen Dämmerung, bleib wach,
denn der Atem toter Seelen staut sich unter diesem Dach
und frisst sich, wenn du schläfst, so tief in Hirn und Lungen fest,
dass du dieses Haus nur sterbend oder tot wieder verlässt.
verse 3
In dem Raum gleich nebenan siehst du dich als alten Mann,
einsam und verbittert, krank und ohne einen Zahn.
Und er wackelt mit dem Schädel, hält die Bibel auf den Knien,
seine dürren Spinnenfinger blättern aufgeregt darin.
Ganze Sätze streicht er aus mit dem Rotstift in der Hand
und schreibt dafür böse flüsternd wilde Flüche an den Rand.
Und schon bluten seine Finger, zucken weiter, wie im Krampf.
Du gibst ihm noch eine Stunde und dann endet dieser Kampf.
Schlaf' nicht ein im Hotel zur langen Dämmerung, bleib wach,
denn der Atem toter Seelen staut sich unter diesem Dach
und frisst sich, wenn du schläfst, so tief in Hirn und Lungen fest,
dass du dieses Haus nur sterbend oder tot wieder verlässt.
verse 4
Auch der Junge schläft noch nicht, nimmt sein Instrument und spielt.
Dazu schreibt er etwas auf, bringt in Reime, was er fühlt.
Falsche Töne, schlechte Verse, es ist gleich wie gut er's macht,
Denn nur schreibend, spielend, singend übersteht er diese Nacht.
Das macht durstig, und er dreht an dem Wasserhahn. Der spritzt
etwas aus, was nach dem riecht, das ein Sterbender ausschwitzt.
Und du wünscht dir, dass er, statt zu trinken, in das Becken schifft.
Und er tut's und bleibt für diesmal noch verschont von diesem Gift.
Schlaf' nicht ein im Hotel zur langen Dämmerung, bleib wach,
denn der Atem toter Seelen staut sich unter diesem Dach
und frisst sich, wenn du schläfst, so tief in Hirn und Lungen fest,
dass du dieses Haus nur sterbend oder tot wieder verlässt.
Verse 5
Deine Uhr zeigt erst auf drei, sie blieb schon vor Stunden stehn.
Sie schläft den langen Schlaf und wird nie mehr wieder gehn.
Es wird Morgen. Junge, nimm jetzt deine Brocken, du musst fort.
Da ist ein Park mit einem Brunnen, trink' und wasch dich dort.
Du wirst doch noch andr'e finden, die sind auch so jung wie du.
Die erklären dir die Welt, höre ihnen ruhig zu.
Dann wirst du weiterziehn, viel sehn, doch das wenigste verstehn,
und nach Jahren vielleicht nochmal über diese Schwelle gehn.
Dann schlaf' nicht ein im Hotel zur langen Dämmerung, bleib wach,
denn der Atem toter Seelen staut sich unter diesem Dach
und frisst sich, wenn du schläfst, so tief in Hirn und Lungen fest,
dass du dieses Haus nur sterbend oder tot wieder verlässt.